Abbildung: Strandbox, 2002  Merlin Bauer & BeL, Fahrrad, Kühlbox, Holz lackiert, Edelstahl, UKW-Sender, Radio-Empfänger, diverse Objekte, Unikat (Foto: © Merlin Bauer / VG Bild-Kunst Bonn, 2022)

 

Liebe deine Stadt – dieser Imperativ scheint an keinem Ort überflüssiger zu sein, als in Köln. Nirgends teilen die Bewohner*innen mehr gemeinsame Lieder über ihre überbordende Liebe zu ihrer Stadt und verklären mit Gesang selbst stark vernachlässigte Stadträume (»Guten Morgen Barbarossaplatz«). Doch weil Liebe auch blind machen kann, brauchte es vermutlich den Blick von außen, um zu erkennen, dass hier einiges schiefläuft. Der Konzeptkünstler Merlin Bauer kam kurz nach der Jahrtausendwende aus Graz hierher und traf auf eine Stadtgesellschaft, die sich durch die Vernachlässigung architektonischer Leistungen des Wiederaufbaus nach der fast völligen Kriegszerstörung kulturell demontierte.

Der drohende (und später dann auch vollzogene) Abriss der 1967 eröffneten Kunsthalle führte ihn 2002 zu einem ersten Projekt in Köln mit dem imaginären Titel Unter dem Pflaster der Strand – Momentane Orte. Ein Fahrrad mit rot-weiß-lackierter Kühlbox und einem UKW-Piratensender war seine mobile Plattform, um an wechselnden Orten die exemplarische Nutzung öffentlicher Räume zu diskutieren. Die Strandbox lieferte die fehlende Infrastruktur für Musik, Speisen und Getränke, um ein Miteinander aller Teilnehmer*innen zu initiieren. Der Abriss der Kunsthalle markierte 2003 eine kulturpolitische Weichenstellung, die sich im Zeitalter von Nachhaltigkeit und Ökologie bald als kulturpolitische Fehlentscheidung darstellen sollte. Das »Kölner Loch« führte zu Protesten, bei denen sich Bürger aus unterschiedlichen Kreisen mit einem gemeinsamen Anliegen versammelten. Als 2010 das Kulturzentrum am Neumarkt eröffnet wurde, war mit dem fahrlässig herbeigeführten Einsturz des Stadtarchivs im Jahr zuvor (3.3.2009) eine Zäsur eingetreten, die jene Stimmen lauter werden ließ, die den Mut zur Kulturund das persönliche Engagement der Bürger einforderten.

Zu diesem Zeitpunkt hatte das 2005 von Merlin Bauer begonnene Projekt Liebe deine Stadt schon eine Breitenwirkung erreicht, die weit über die Stadtgrenzen hinausgeht und etliche internationale Nachahmer aber auch die künstlerische Autorenschaft missachtende kommerzielle Trittbrettfahrer gefunden hat. In einer ersten Kampagne hatte er vom Abriss bedrohte Gebäude durch qualifizierte und prominente Laudatoren würdigen und sie weithin sichtbar mit einer übergroßen rot-weißen Preisschleife auszeichnen lassen, wie man sie im Kleinformat aus dem Pferdesport kennt. Mit Hiltrud Kier, der ehemaligen Stadtkonservatorin, und Peter Zumthor fanden sich gleich zwei Stimmen für die architektonische Finesse des Kölner Opernhauses. Dessen nicht enden wollende Sanierung ist zum Zeichen dafür geworden, dass anspruchsvolles Bauen unter zeitlichem und ökonomischem Druck sowie durch überbordende technische und behördliche Auflagen nicht nur in Köln zum Scheitern verurteilt ist. Auf diese Situation reagierte Merlin Bauer im Jahr 2015 mit Liebe deine Stadt – Trotzdem!, dem Liebe deine Stadt – Museum sowie den Multiples und Leuchtkästen FRUST, TROST und HOFFNUNG.

Als Konzeptkunst ist Liebe deine Stadt allerdings weder mit Politik noch mit Stadtmarketing zu verwechseln. Im Sinne einer »Sozialen Plastik« bewegt Merlin Bauer Prozesse, bei denen die Urheberschaft beim Künstler bleibt, die aber offen sind für alle, die teilhaben wollen bzw. zur Partizipation eingeladen werden. Wie kein anderes künstlerisches Projekt der Gegenwart hat er es geschafft, gesellschaftliche Kreise zusammenzuführen, die sich sonst kaum begegnen.

Der unverwechselbare Schriftzug Liebe deine Stadt, dessen dauerhafte Präsenz über der Nord-Süd-Fahrt die RheinEnergie AG durch Ankauf der Stadtgesellschaft geschenkt hat, hat sich in die DNA der Stadt eingeschrieben. Er wurde von den Fans des 1. FC stolz als Fahne ins Fußballstadion getragen, findet sich in Schulbüchern, aber auch als Multiple in Kunstsammlungen, war Bühnenbild der Inszenierung Kölner Affären im Schauspielhaus und schmückt als Tattoo die Haut vieler Kölner*innen.

Auf subversive wie intelligente Weise »kapert« Merlin Bauer alle Formate und Institutionen. Sein Fest- und Protestwagen Ihr seid Künstler und wir nicht! nutzte 2010 den Rosenmontagszug als riesige Plattform für seine Kritik am Abriss des Schauspielhauses mit freundlicher Unterstützung des Festkomitee Kölner Karneval.

Und erst im vergangenen Jahr überformte und durchwebte er den Kölner Stadt-Anzeiger mit seiner Kunst-Sonderausgabe Liebe deine Stadt – Architektur & Demokratie (Auflage 220.000 Ex.) zum Eröffnungstag der Art Cologne, indem er in jedem Ressort (Gast-)Beiträge unterbrachte, die sich mit Fragen der sozialen und ökologischen Transformation im Spannungsfeld von Architektur und Demokratie auseinandersetzen.

Mit den Projekten von Merlin Bauer, Éric Baudelaire, Lutz Fritsch und den Künstler*innen des Kunsthaus KAT18 zeigt sich die Praxis der »Sozialen Plastik« in unserer Ausstellung. Der Begriff wurde in der Kunst Ende der 1960er Jahre von Joseph Beuys (1921 – 1986) als Teil eines »erweiterten Kunstbegriffs« eingeführt. Damit sollte bewusst gemacht werden, dass das formal-ästhetische Werk solange Selbstzweck bleibt, wie es nicht als Medium konstruktiv verändernd auf gesellschaftspolitische Umstände einwirkt. Beuys wandte sich gegen die Überhöhung abgeschlossener Kunstwerke und öffnete den Kunstbegriff für eine ebenso soziale wie individuelle, ökologische wie spirituelle Dimension. »Soziale Plastik« meint einen dynamischen Prozess, bei dem jeder Mensch kreativ beteiligt sein kann, indem er sein soziales Umfeld und die Gesellschaft insgesamt formbildend gestaltet. Der desolate Zustand der Welt als Ergebnis einer am reinen Materialismus orientierten Ökonomie könne nur überstanden werden, wenn die Teilhabe am plastischen Prozess der Demokratie jedermann möglich sei und derart im kleinen und im großen Maßstab lebenswerte Orte geschaffen werden.

KOLUMBA
Kolumbastraße 4
50667 Köln
täglich außer dienstags, 12 – 17 Uhr